Ein Prozess mit Gschmäckle

Von Dieter A. Graber
HANAU. Carsten D. ist ein alter Hase beim Bundeskriminalamt, 44 Jahre, Kriminalhauptkommissar, Abteilung OE 43. Das steht für Operative Einsatz- und Ermittlungsunterstützung. Herr D. leitete den VE-Einsatz in der Mordsache Gallienstraße. Er ist ein schmaler Mann in einem dunklen Anzug, freundlich und sprachgewandt. Detailliert berichtet er über die Operation, die zur Verhaftung von Lutz H. führte.
Und so lichten sich langsam die Nebel in diesem Prozess, der im November begann, drei Anläufe brauchte und inzwischen den 30. Verhandlungstag erlebt hat. Es wurde viel geredet, viel gemutmaßt und noch mehr hineingeheimnisst, vor allem in Bemerkungen, die Lutz H. und Banu D. in kleiner Runde von sich gaben. Mag sein, dass Errol, der VE an der kurzen Leine des KHK Carsten D., unter Erfolgsdruck stand, dass er liefern musste, irgendwas Belastendes halt, denn der Einsatz gestaltete sich teuer und personalintensiv. Mindestens fünf „Verdeckte“ waren aufgeboten worden. Gleichwohl steht als Ergebnis die tiefe Verstrickung des Lutz H. in die Tat vom 7. September 2013 fest. Die Frage ist nur: War er Planer, Auftraggeber – oder selbst der Schütze?
Begonnen hatte die VE-Aktion im Februar 2014 in einem kleinen Büro der Polizeistation am Freiheitsplatz. Hilfesuchend hatte sich die Hanauer Kripo ans BKA gewandt, nachdem sämtliche Ermittlungsversuche im Sande verlaufen waren. Zwar hatten sich Polizei und Staatsanwaltschaft früh auf den Schwager des Opfers als alleinigen Tatverdächtigen festgelegt; aber mehr als ein schwaches Motiv – „Rache“ wegen eines allerdings noch unentschiedenen Erbschaftsstreits – und seine Affinität zu Schusswaffen gab es nicht. Zu wenig für eine Anklage. BKA-Mann D. signalisierte Hoffnung: Ein VE-Einsatz sei möglich – praktisch wie rechtlich.
Zwar beschränkt Paragraph 110a StPO derartige Einsätze auf Straftaten „von erheblicher Bedeutung“ und führt als Beispiele an: BTM- und Waffenhandel, Staatsschutzsachen und organisierte Kriminalität, erwähnt aber auch den Fall, dass „… die besondere Bedeutung der Tat den Einsatz gebietet und andere Maßnahmen aussichtslos wären“. Später werden die Verteidiger u. a. hier ansetzen beim Versuch, ein Beweisverwertungsverbot für das VE-Material – Protokolle und mitgeschnittene Gespräche – zu erwirken. Vergeblich. Die Kammer hält den Einsatz für rechtens.
In einem Aktenvermerk vom 8. April 2014 hatte die Hanauer Kommissarin Judith J. das Ziel der VE-Aktion definiert. Es gehe darum, dem Verdächtigen „exklusives Täterwissen und/oder ein Geständnis zu entlocken“. Dass Lutz H. schließlich sogar mit der Mordwaffe rausrücken würde, hatten die Ermittler nicht erwartet. Zwei Jahre später, im Mai 2016, wird er verhaftet.
Banu D. und Lutz H. sind ein seltsames Paar. Der falsche „Herr Doktor“ und die hübsche, 24 Jahre jüngere Frau lebten zwei Jahre lang in Eisentratten, einem abgelegenen Dorf im Norden Kärntens, so einsam und unbedeutend, dass ihm selbst der Satellit von GoogleEarth keine Beachtung schenkt. Hier gilt Lutz H. etwas. Waffennarr ist er, Großwildjäger soll er sein und Millionenerbe. Einer beruflichen Tätigkeit geht er nicht nach. Die Einheimischen begegnen ihm mit jenem typisch österreichischen Respekt, welcher eine Mischung ist aus Unterwürfigkeit und Ironie. Aber man wird gemunkelt haben in der Gsöschoft, drüben, beim Kurt im Lamprechthof, wo sich Banu D. bisweilen nützlich macht, und droben auf der holzschindelgedeckten Almhütte, bei Brettljause und Most. Aber hier, wo wildern Volkssport ist und der illegale Besitz von Schusswaffen nur eine Ordnungswidrigkeit, hinterfragt man nicht viel.
Und dann taucht Errol auf. Es ist Herbst 2015. Der BKA-Fahnder mit der geheimnisvollen Aura des bösen Buben gewinnt überraschend schnell das Vertrauen der beiden. Errol sieht gut aus, ist durchtrainiert und, ganz Lebenskünstler, in Spanien und Deutschland zuhause. Und vor allem: in vermeintlich dubiose Geschäfte verwickelt. Er muss eine mephistophelische Anziehungskraft auf Lutz H. ausgeübt haben, anders ist es kaum zu erklären, dass der seine übliche Zurückhaltung ablegt und schon beim ersten Treffen vom Volkemord erzählt. Später schauen sie im Internet den entsprechenden XY-ungelöst-Beitrag, googeln das Modell der Tatwaffe und kommen auf eine FN Browning1910. Das aber weiß zu diesem Zeitpunkt nicht einmal die Polizei sicher.
Die FN, eine Wehrmachtswaffe, ist ein mutmaßliches Erbstück aus der Familie H., ebenso wie jene halbautomatische Schrotflinte, die Errol seinem „Freund“ Lutz zuerst abkauft. Als „vertrauenbildende Maßnahme“, wie Herr D. sagt. „Es wurde bei der Übergabe betont, man könne damit auch Menschen umbringen.“ Wer das gesagt habe, fragt Richter Graßmück. Erst Lutz H., antwortet der Kommissar, später auch Banu D.: „Mensch, damit kannste 100 Morde begehen!“
Sie erzählt gern. Launige Stehgreifanekdoten und krudes Zeug. Vermutlich hat Errol mit seinen Räuberpistolen ihre leicht morbide Phantasie angeregt. Vielleicht war es die Faszination des Verruchten. Wie auch immer, versteckte Hinweise auf ihre angebliche Verstrickung in die Koblenzer Unterwelt und in 500 schwere Verbrechen – „Partys“, wie Lutz H. sagt – erweisen sich als Schimäre. „Extrem unwahrscheinlich“, sagt der Zeuge, „dass jemand so viele Straftaten begeht und nicht polizeilich aufgefallen ist.“
Man nahm das nicht ernst. Erst viel später, nach Beginn des Prozesses gegen Lutz H., mutiert Banu D. von der Zeugin zur Angeklagten. Es gäbe Hinweise auf ihre Tatbeteiligung, heißt es nebulös. Die ist Staatsanwalt Pleuser bisher schuldig geblieben. Eine Belehrung nach Paragraph 55 StPO, wonach ein Zeuge sich nicht selbst belasten muss, war vor ihrer Vernehmung unterblieben. Deshalb bekommt das Verfahren an dieser Stelle ein „Gschmäckle“, wie der Schwabe sagt. Kommissar D. betont, verdächtig sei sie nie gewesen. „Wir gingen davon aus, dass er die Tat begangen hat. Entsprechende Äußerungen von ihr waren nicht einzuordnen.“
Nach der Festnahme von Lutz H. hatte Kommissar D. die Einweisung von Banu D. in eine Psychiatrie veranlasst. Von wegen Eigengefährdung und so. Weil sie sich doch schon mal selbst verletzt habe. Also: angeblich selbst verletzt, muss es korrekt heißen. Die Ärzte vermochten keine psychische Auffälligkeit bei ihr festzustellen.