Ein starkes Stück von Bahar

Von Dieter A. Graber
HANAU. Christina, die auch Yildiz heißt, je nach Aktenlage, ist eine zierliche, kleine Person von dreißig Jahren, ginge aber auch als aufgedonnerte – sagen wir mal – Achtzehnjährige durch; eine Kindfrau: das Gesicht trotzig, die Lippen zu stark bemalt, kess der Blick aus dunklen Augen. Das Rotlicht ist ihre Welt; mit Kerlen, die sich ein bisschen Zärtlichkeit was kosten lassen, kennt sie sich aus, auch mit Zuhältern, von denen sie schon einige in den Knast gebracht habe, wie sie mal prahlte. Seit sie in Deutschland strandete – vor viereinhalb Jahren war das, wenn wir richtig rechnen –, arbeitete sie in Saunaclubs: Darmstadt, Aschaffenburg, Berlin und wo immer auch sonst noch. Ist ein mobiles Gewerbe, das horizontale. Yildiz stammt aus Bulgarien.
Den Miroslav, der auch Bahar genannt wird, lernte sie im Mai 2012 kennen. Er ist ein Landsmann von ihr. In dieser Geschichte, Sie merken es, haben die meisten handelnden Personen mehrere Namen oder gar keinen. Dann heißen sie „der Türke“. Oder „der dicke Aydin“. Oder einfach „ein Freund“, „eine Freundin“. Also: Bahars Ex verkuppelte die beiden. Weiß der Himmel, warum. Ist aber kein übel aussehender Bursche: das streichholzkurze Haar mit grauen Einsprengseln durchmischt, das Henriquatre-Bärtchen artig gestutzt, groß, durchtrainiert und von der Schöpfung versehen mit einem … Also: Bahar sei mit einer Männlichkeit ausgestattet, die selbst eine so lendenerfahrene Frau wie Yildiz nicht für möglich gehalten hätte. Wir erwähnen dies nur, weil es auch in der Anklageschrift steht, die Staatsanwältin Seng mit stoischer Ruhe vorträgt. Nun, zugegeben, Bahar soll der Natur mit Anabolika ein wenig nachgeholfen und dann mit diesem Corpus Delicti die Yildiz vergewaltigt haben, und zwar derart, dass sie sich hinterher ins Krankenhaus begeben musste. Geschehen sei dies in seinem Zimmer. Er wohnte da noch bei seinen Eltern, oben in dem Haus im Hanauer Stadtteil Südost. Die beiden hatten sich am 12. Mai 2012 abends am Hanauer Hauptbahnhof getroffen. Ein Blind Date. Zehn Tage habe er sie anschließend als Gefangene gehalten. „Sie durfte die Wohnung nur in seiner Begleitung verlassen“, sagt die Staatsanwältin. „Er drohte auch damit, ihren Bruder zu töten.“
Jetzt also sitzt die Yildiz auf dem Zeugenstuhl in Saal 215 des Landgerichts, wo die 1. Große Strafkammer versucht, Licht in die kuriose Angelegenheit zu bringen. Schon einmal war das gescheitert. Aber weil Bahar ohnehin zurzeit eine Gefängnisstrafe wegen einer anderen Sache verbüßt, kam es auf ein paar Monate nicht an. Er war nämlich als Altmetallsammler unterwegs gewesen, hatte es aber vor allem auf neue Werkstoffe abgesehen gehabt, wie man sie auf Baustellen zu finden pflegt. Das Gericht verfügt deshalb über eine Menge im Rahmen der Ermittlungen abgehörter Telefongespräche, Dutzende Mitschnitte aus der Zeit, da Yildiz, die heute auch Nebenklägerin ist, eigentlich als Sex-Sklavin in Bahars Junggesellenbude geschmachtet haben will. Man könnte daraus schließen, die beiden seien gemeinsam auf Diebestour gegangen. „Ich wurde gezwungen von ihm“, haucht Yildiz. „Er hat mir auch mein Handy, meinen Pass und 1600 Euro Bargeld abgenommen.“ Yildiz alias Christine kann gar nicht lesen und schreiben und kaum ein Wort Deutsch sprechen. Sie hat eine Tochter, die bei der Großmutter lebt.
Das mit dem Geld ist ein eigenes kleines Kapitel: „Warum haben Sie so viel dabei“, fragt Richter Peter Graßmück erstaunt, „wenn Sie sich mit einem fremden Mann treffen?“ – „Es war mir von Verwandten aus Spanien für meine kranke Mutter in Bulgarien geschickt worden.“ – „Wie kam es denn nach Deutschland?“ – „Der Fahrer eines Fernbusses brachte es mir mit.“ – „Sie vertrauen einem Fremden so viel Geld an?“ – „Nein, er war ein … Bekannter.“ – „Warum wurde es nicht per Überweisung geschickt?“ – „Damals hatte ich kein Konto …“ Richter Grasmück macht keinen Hehl daraus, dass es großer Naivität bedarf, derartiges zu schlucken.
Und überhaupt: Die abgehörten Gespräche legen nahe, dass Bahar alias Miro der jungen Frau keineswegs so schnurzpiepe war, wie sie es heute darstellt. „Ich habe mich am Telefon in dich verliebt“, sagt sie einmal. Heute erklärt sie: „Das war nicht ernst gemeint. Ich wollte nur Freundschaft, mehr nicht!“
Sie trällert es mit der Stimme eines Vögelchens. Die Stimme ist genauso zierlich wie die ganze Person, gleichwohl sie’s faustdick hinter den Ohren zu haben scheint. „Ich zeige dir meinen Führerschein“, sagt sie in einem der belauschten Telefonate. „Mal sehen, ob du merkst, dass er gefälscht ist. Ich fahre schon jahrelang damit rum und bin oft kontrolliert worden …“ Bahar: „Wo hast du ihn her?“ – Sie: „Aus Sofia. 150 Euro hat er gekostet.“
Kontrolliert wurde sie übrigens auch mal bei einer ihrer nächtlichen Diebestouren mit Bahar. Da saß sie freilich allein im Wagen. Warum sie sich da nicht den Beamten anvertraut habe, fragt Richter Graßmück. „Ich hatte Angst“, antwortet sie.
Bahar leugnet die Vorwürfe. „Wir hatten einvernehmlichen Sex“, sagt er. Nachdem sie später festgenommen worden war – übrigens wegen ihres Führerscheins –, habe er sogar Geld für ihre Kaution gesammelt: „Wir hatten doch eine so schöne Zeit zusammen.“ Er sieht verärgert aus. Oder ratlos. Vielleicht war das mit den Anabolika ja doch keine gute Idee.
Der Prozess wird fortgesetzt.