Happy Hipos
Von Dieter A. Graber
HANAU. Herr B. war zweiunddreißig Jahre lang Hilfspolizist in Frankfurt. Er war ein guter Hilfspolizist. Er bildete andere Hilfspolizisten aus und erbrachte immer sein Soll an Strafzetteln. Aber dann haben sie ihn geschasst – „rausgemobbt“, betont er, eine hässliche Geschichte war das –, heute lebt er von Hartz IV und muss sich zur Decke strecken, damit’s bis Monatsende reicht. Herr B. ist ein Brocken von Mann mit mächtig viel Nacken, Typ harter Hund, groß, sein Haar grau und kurz, der Schnäuzer farblich passend. Er ist 60 Jahre alt.
In Saal 22 des Hanauer Amtsgerichts muss sich Herr B. wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis verantworten. Den Führerschein haben sie ihm vor drei Jahren nach einer Trunkenheitsfahrt abgenommen. Ein paar Feierabendbierchen zu viel im Kollegenkreis, das alte Lied. Geld für die MPU hat er nicht. Doch dann wurde er wieder am Steuer gesehen, im Frankfurter Ostend soll das gewesen sein, ausgerechnet von zwei ehemaligen Kollegen. Herr B. grollt: „Unsinn! Die wollen mir eins auswischen.“ Er sagt, er habe ein Alibi und einen Zeugen. Die Geschichte klingt absonderlich, das muss man sagen, aber sie spielt in einer Gesellschaft bizarrer Selbstüberschätzung, deren Mitglieder ihre Reputation bisweilen aus der Autorität einer Uniform schöpfen.
Herr B. wird von dem gewieften Rechtsanwalt Bernhard Pfältzer aus Maintal vertreten. Der ist auf einige Merkwürdigkeiten in dem Fall gestoßen. Auf „Korpsgeist“, wie er sagt, und auch auf Rechtsverstöße. Er hat die Akten des alten Arbeitsgerichtsverfahrens dabei. Herr B. soll seine Chefin beleidigt haben. Es war ein Hin und Her. Mehrere Zeugen sagten damals gegen Herrn B. aus. Der vermutet, sie hätten sich abgesprochen. Noch heute, vier Jahre später, ist er nicht drüber weg. Das ist wie eine alte Wunde, die nicht heilen will. „Es machte meine Lebensgefährtin doch so stolz, dass ich Uniformträger war“, sagt er traurig. 300 Strafzettel schaffte er am Tag. Da kam was zusammen an Verwarnungsgeld. Und dann ist er plötzlich nur noch Zivilist und muss sich auch noch selbst anzeigen lassen … Er wittert eine Verschwörung.
Ronny R. (32) und Robert B. (35) sind in ihrer blauen Uniform und mit dem Dienstwagen zum Gericht gekommen. Betriebsangestellte der Stadt Frankfurt, Straßenverkehrsamt lautet ihre korrekte Berufsbezeichnung. Umgangssprachlich heißt das: Hipos. „Wir wollten einen Falschparker abschleppen lassen“, sagt Ronny R., „und füllten gerade das Protokoll aus – da fuhr er langsam an uns vorbei.“ Er macht für Amtsrichter Schwartz schnell eine Skizze. Es war in der Oskar-von-Miller-Straße. 15.59 Uhr. Deutlich habe er den Ex-Kollegen durch das geöffnete Fenster erkannt. A-Klasse-Mercedes, silbergrau. Und dann kommt das Kennzeichen, wie aus der Pistole geschossen – leider ist es falsch, der Zeuge R. muss sich korrigieren. Das ist jetzt aber schon ein bisschen peinlich.
Sei Kollegen B. sagt identisch aus. Fast wörtlich. Anwalt Pfälzer nimmt ihn in die Mangel. „Es war eine Einbahnstraße, der Mercedes kam von hinten, Sie waren beschäftigt …“, gibt er zu bedenken. Hilfspolizist B. bleibt dabei: Er war’s! Nun haben sich die beiden mit ihrer Anzeige aber Zeit gelassen. Mehrere Wochen. Robert B. nahm erst mal seelenruhig Ermittlungen auf. Er recherchierte bei der Führerscheinstelle. Er hätte das nicht gedurft, sagt der Verteidiger. Er hätte unverzüglich die Polizei informieren müssen. Und zwar die echte. Robert B. ist eingeschnappt. „Ich muss einer Straftat nachgehen“, rechtfertigt er sich trotzig. Wo er doch so stolz war, alles ganz alleine auf die Reihe gekriegt zu haben. Das war mal eine Abwechslung vom ewigen ruhenden Verkehr. Der Angeklagte vermutet hingegen eine „Anweisung von oben“. Er hat die beiden wegen falscher Verdächtigung angezeigt.
„An diesem Nachmittag habe ich einem Bekannten geholfen. Der betreibt eine Gaststätte in Maintal. Wir haben Spielautomaten aufgestellt.“ Nun gut, der Gastwirt bestätigt das, aber es klingt nicht eben überzeugend: „Ich hatte es in meinem Terminkalender notiert“, tut der Entlastungszeuge kund. Den hat er aber nicht mehr. Leider. Und auch die Lebensgefährtin des Angeklagten, eine Altenpflegerin, kann dem Prozess nicht die erhoffte Wende geben, ist ihr Erinnerungsvermögen doch partiell getrübt. Nur so viel weiß sie genau: „Er fährt nie mit dem Auto.“
Richter Schwartz glaubt den beiden Hilfspolizisten. Vielleicht auch, weil Herr B. schon einiges auf dem Kerbholz hat: Betrug, Beleidigung, Trunkenheit im Verkehr – und, ja auch, Fahren ohne Fahrerlaubnis. So etwas macht sich immer schlecht, wenn es Spitz auf Knopf steht im Gerichtssaal. Er verurteilt den Angeklagten zu 60 Tagessätzen von jeweils zehn Euro.
Die Hipos R. und B. haben den Prozess bis zur letzten Minute verfolgt. Sie werden was zu erzählen haben, zurück auf ihrer Dienststelle.