Metapher des Todes

Von Dieter A. Graber
HANAU. Es hat gute Tage gegeben für den Angeklagten in diesem Prozess und, na ja, halt weniger gute. Zu Letzteren gehören auf jeden Fall die, an denen VE Errol, über Video vom BKA in Saal 215 zugeschaltet, erzählte, wie ihm Lutz H. die Tatwaffe verkauft hat, damals, am 17. April 2016 in Kärnten. Wie sein „Freund“ Lutz ihm versichert habe, es handele sich um jene FN Browning, mit der Jürgen Volke erschossen worden war. Eine „Partywaffe“ hatte er sie genannt. Will sagen: ein schon mal für ein schweres Verbrechen benutztes ballistisches Gerät. An diesen Tagen war der Mann auf der Anklagebank noch eine Spur ernster gewesen; vielleicht, weil er merkte, dass nun auch die Hoffnung ans Sterben kommt.
„Partywaffe“. Das ist eine Metapher, deren Sarkasmus sich vor dem Hintergrund besagter Bluttat – eine Familie wurde des Vaters, Ehemannes, Ernährers beraubt – an jedweder Moralität vergeht. Mord als Gaudium. Schwer zu sagen, aber es kann sein, das Verfahren ist mit dem erstmaligen Auftauchen dieses Begriffs gekippt. Jetzt gibt die Strafkammer einen „rechtlichen Hinweis“: Es komme für den Angeklagten auch, erstens, eine Verurteilung wegen Mittäterschaft in Frage und, zweitens, die Feststellung der besonderen Schwere der Schuld. Die Konsequenz wäre: Lebenslänglich ohne Strafaussetzung nach 15 Jahren. Es könnte ein Ende hinter Gittern bedeuten. Lutz H. ist 53 Jahre alt. Ein verdammt schlechter Tag für ihn.
Natürlich ist das kein vorweggenommenes Urteil, obwohl es meistens so kommt. De facto ist das Rennen noch offen. Bis zum Ende der Beweisaufnahme kann der Angeklagte entlastet werden. Aber womit? Von wem? Die Verteidigung des Lutz H. verfolgte eine Strategie des letzten Zweifels, die zum In dubio pro reo führt. Mit enormer Aktenkenntnis, bemerkenswerter Paragraphenfestigkeit und inquisitorischer Befragungstechnik haben sich die Anwälte Andreas von Dahlen (Düsseldorf) und Edgar Gärtner (Mannheim) an diese Aufgabe gemacht. Ergebnis: Ja, der VE war belastungseifrig, sein Vorgehen womöglich nicht immer ganz legal. Ja, das Alibi von Lutz H., nämlich Zara und Asena, die Töchter von Banu D., in der Tatnacht beaufsichtigt zu haben, lässt sich nicht widerlegen. Und, auch das scheint inzwischen evident: Sein Erbstreit mit Schwester Ulrike um 40.000 Euro allein taugt kaum als Motiv. Soviel auf der Haben-Seite. Die Posten auf der anderen hat Richter Graßmück im „rechtlichen Hinweis“ aufgelistet: Lutz H. besaß die Tatwaffe. Er versicherte Errol, zu wissen, wer’s war. Und dass er selbst „instrumentativ“ beteiligt gewesen sei. Das ist so gut wie ein Geständnis. Da rückt ein Freispruch „mangels Beweisen“ soweit in die Ferne wie seine nächste Antilopenpirsch in Namibia.
Bekannte der Angeklagten sagen aus. Sabrina M., 44 Jahre, wohnte damals im Haus nebenan. In Nastätten war das. Sie tut sich schwer mit dem Reden, drogenkrank war sie mal, aber erinnern kann sie sich noch gut an Banu D., die nette Nachbarin. Fröhlich, zuverlässig, kinderlieb, hilfsbereit. Im Garten hätten sie oft gesessen, geklönt, Wein getrunken und, ja, auch gelegentlich Amphetamin eingeworfen. Die Ehe von Banu D. war gerade den Bach runter. Ihr Mann hatte sich zu seiner Homosexualität bekannt. Rosenkrieg. Kampf um die Kinder. Zoff mit der eigenen Familie. Alleinerziehende Mutter. Kaum Geld. Das gemeinsame Haus vorm Notverkauf. Job als Servierhilfe in einem Café.
Und da begegnet sie eines Tages, irgendwann im Sommer 2012, dem Lutz. Ein Mann von Welt. Arzt (aber ein falscher, was sie erst viel später erfährt). Großwildjäger. Wohlhabend. Auf eine harte Art gutaussehend. Sabrina M. sagt: „Als er in ihr Leben trat, hat sie sich verändert. Sie war verknallt wie ein Teenager, machte sich hübsch für ihn, wollte mit ihm nach Kärnten ziehen. Ich warnte sie. Er machte mir nämlich nicht den Eindruck, als erwidere er ihre Liebe.“
Lutz H. ist tadellos gekleidet an jedem Verhandlungstag. Helles Hemd, Krawatte, Jeans, Trachtenjanker oder Jackett. Kalt wirkt er auf der Anklagebank. Gefühllos. Graue Augen in einem schmalen, furchigen Gesicht. Sein Lächeln erreicht kaum die Unterlippe. Äußerlichkeiten sind keine Indizien, gewiss, und doch … Seine bildhübsche Tochter (aus erster Ehe) und die attraktive Noch-Ehefrau bringen ihm bisweilen Fresspakete für die Mittagspause in den Gerichtssaal. Sie halten zu ihm.
Im Jahr 2014 siedelt das ungleiche Paar tatsächlich nach Eisentratten über. Für das Kärntner Bauerndorf wird der Begriff „Arsch der Welt“ erfunden worden sein. Ein Plot wie eine Schmonzette von Rosamunde Pilcher, hart an der Schmerzgrenze: Eine junge Frau, zwei kleine Kinder, ein deutlich älterer Mann. Sie jobbt und hofft, er werde sie irgendwann heiraten. Er lebt beschäftigungslos in den Tag hinein, trinkt viel, geht jagen. Immer öfter gibt es Streit. Sie hält an ihrer unterwürfigen Liebe fest, rebelliert gleichwohl auf hilflose Weise, etwa, indem sie sich selbst verletzt. Ausbrüche einer verzweifelten Frau, die er mokant als Überspanntheiten abtut. Und doch wird das nun alles gegen sie verwendet. Die Anklage geht davon aus, Banu D. habe den Mord verübt. Um für sich und ihre Kinder finanzielle Sicherheit an der Seite von Lutz H. zu erlangen. Oder als „Liebesbeweis“. Oder was auch immer.
Vieles spricht dagegen. Die Aussage von Cengiz G. im ersten Prozess zum Beispiel. Da hatte er bestätigt – wofür es übrigens weitere Zeugen gibt –, in der Tatnacht mit Banu D. zusammen gewesen zu sein. Dienstag muss er erneut in den Zeugenstand. Bleibt er dabei, ist Banu D. raus. Von ihm hängt es also ab, ob es für sie ein guter oder ein schlechter Tag sein wird.